Patient des Monats: Hündin Jessy

Jessy ist eine 10 jährige, weibliche, nicht kastrierte Cocker Spaniel Hündin. Seit Oktober 2012 bemerkte der Besitzer immer wieder Schwellungen an der Mamaleiste. Diese sind teils zurückgegangen, und dann wieder gekommen. Vor Weihnachten hat Jessy einen dicken Bauch bekommen. Jetzt sind wieder vermehrt Schwellungen an der Mamaleiste aufgetreten.

Seit einer Woche sind diese immer kompakter und größer geworden. Die Läufigkeit wurde durch Spritzen 4 x im Jahr unterbunden. Die letzte Spritze wurde vor 4 Wochen (Dezember 2012) verabreicht. Es wurde nie Ausfluss aus der Scheide bemerkt. Kot- und Urinabsatz sind normal; Jessy frisst gut; sie läuft gut mit. Weiterhin röchelt sie seit ca. einem Jahr, vorwiegend im Sommer; es ist kein Husten aufgefallen.

Untersuchung

Allgemeinbefinden aufmerksam; Schleimhäute verwaschen; KFZ prompt; Zahnstein; Gingiva entzündet; Atmung röchelig; beidseits eitriger Augenausfluss; Bulbustrübung; Bild entspricht einer Kerato konjunktivitis sicca; Lymphknoten obB; Herz: soweit zu beurteilen auskultatorisch obB; Röchelt ziemlich bei der Auskultation; Bauch prall – vor allem linksseitig derbe Struktur an die Bauchdecke grenzend; palpatorisch abdominale Strukturen schwer abzugrenzen; Scheide trocken rosa; Temperatur: 38,7°C; sehr wenig Haare im Anusbereich; Haut unversehrt; allgemeine Seborrhoe; rechtsseitig mittig, faustgroße Umfangvermehrung an der Mamaleiste; linksseitig mittig, knubbelig und divers verteilte Umfangvermehrungen; alle sind knubbelig derb und lassen sich von der Oberfläche abheben;

Weiterführende Untersuchungen

Röntgen:

Differenzialdiagnosen:
Hochgradiger Verdacht auf Pyometra, Hämometra oder Tumor der Gebärmutter

Termin zur operativen Versorgung baldmöglichst vereinbart.
Aufklärung, dass die Verdachtsdiagnosen durchaus zu einer lebensbedrohlichen Situation für Jessy führen könnten, daher ist eine operative Versorgung baldmöglichst anzuraten.

Therapie:
Synulox 1,5 ml sc
Paracarp : 1,5 ml sc
Synulox 500: 2 x täglich 1/2 Tablette über 10 Tage
Rimadyl 100: 1 x täglich 3/4 Tablette über 5 Tage

Vorstellig zur OP:
Jessy zu hat sich zu Hause nach wie vor normal verhalten; die Medikamente hat sie gut vertragen
keine Polyurie oder Polydypsie
weiterhin kein Ausfluss sichtbar

Untersuchung:
Allgemeinbefinden munter; Schleimhäute blassrosa – bis fahl; KFZ prompt; Zahnstein; dadurch Gingiva entzündet; beidseits Augen getrübt; eitriger Ausfluss, Atmung: röchelt; Herz dadurch schwer auskultierbar; Lunge auch; Abdomen weiterhin prall, vor allem linksseitig; Temperatur: 38,3°C, Lymphknoten obB

Venenzugang versucht vorne links zu legen – sehr schwierig, da die Haut sich verschiebt und die Vene dadurch weggeschoben wird;
Vorne rechts Versuch gelungen; im schlafenden Zustand rechts hinten V. Saphena ein weiterer Zugang gelegt; Intubation mit einem Hub Gingicain; Abdomen großzügig ausrasiert vom Xhyphoid bis nach kaudal; Haut eine ziemliche Seborrhoe

Ultraschall:
eher weniger Flüssigkeit wie erwartet, eine derbe UV in einem flüssigkeitsgefüllten Sack aufzufinden – gut von der Harnblase zu differenzieren;

Blut:
ggr erniedrigter Hämatokrit und Erythrozyten; sonst Organwerte obB

  • RBC 4,92 M/µL 5.50 – 8.50 NIEDRIG
  • HCT 32,5 % 37.0 – 55.0 NIEDRIG
  • HGB 12,2 g/dL 12.0 – 18.0
  • MCV 66,1 fL 60.0 – 77.0
  • MCH 24,7 pg 18.5 – 30.0
  • MCHC 37,4 g/dL 30.0 – 37.5
  • RDW 16,8 % 14.7 – 17.9%RETIC 1,7 %
  • RETIC 82,4 K/µL 10.0 – 110.0
  • WBC 14,79 K/µL 5.50 – 16.90
  • %NEU 70,6 %
  • %LYM 17,8 %
  • %MONO 9,9 %
  • %EOS 1,3 %
  • %BASO 0,4 %
  • NEU 10,45 K/µL 2.00 – 12.00
  • LYM 2,63 K/µL 0.50 – 4.90
  • MONO 1,46 K/µL 0.30 – 2.00
  • EOS 0,20 K/µL 0.10 – 1.49
  • BASO 0,05 K/µL 0.00 – 0.10
  • PLT 257 K/µL 175 – 500
  • MPV 16,2 fL
  • PDW 21,8 %
  • PCT 0,42 %

Organwerte:

  • GLU 89 mg/dL 70 – 143
  • BUN 10 mg/dL 7 – 27
  • CREA 1,5 mg/dL 0.5 – 1.8
  • PHOS 3,9 mg/dL 2.5 – 6.8
  • CA 10,9 mg/dL 7.9 – 12.0
  • TP 7,8 g/dL 5.2 – 8.2
  • ALB 2,8 g/dL 2.2 – 3.9
  • GLOB 5,0 g/dL 2.5 – 4.5 HOCH
  • ALT 63 U/L 10 – 100
  • ALKP 73 U/L 23 – 212
  • TBIL 0,3 mg/dL 0.0 – 0.9
  • CHOL 309 mg/dL 110 – 320
  • AMYL 778 U/L 500 – 1500

Injektionsnarkose:
über den Venenzugang verabreicht

Lapratomie
Zugang in der Linea Alba; nach Eröffnung des Peritoneums kommt einem klare Flüssigkeit entgegen; UV Masse derb, nimmt fast die ganze Bauchhöhle in Anspruch;

Gebärmutter kaudal aufgesucht, Uterushörner nach kranial verfolgt, UV linksseitig ist mit dem Uterus verbunden( es handelt sich um verändertes Eierstocksgewebe); Bauchschnitt musste umbilical erweitert werden, erst durch dorsale Hebelbewegungen war es möglich die Masse aus der Bauchhöhle zu exteriorisieren; UV knotig derb – verändertes Eierstockgewebe

Uterushörner und Cervix mit fluktuierender Flüssigkeit gefüllt, Gewebe macht einen gedehnten Eindruck;

Über die Cervix Vicryl 3-0 mit Sicherheitsligatur im Uterus abgebunden; linksseitig und rechtsseitig Gefäße separat ab ligiert Vicryl 4-0;
Stumpf- Schleimhaut entfernt; Jodlösung abgetupft und mit einem Diagonalheft geschlossen Vicryl 4-0;

  • Bauchdecke Vicryl 3-0 Einzelhefte
  • Fettschicht Vicryl 2-0 Einzelhefte
  • Unterhaut Vicryl 3-0 Fortlaufend
  • Haut Supramid Fortlaufend
  • Pflasterverband und Body, Halskragen

OP um 14 Uhr beendet
Es konnte relativ bald extupieren werden, da sie schluckt; bis 18: 45 stationär; dann war sie wach genug um selbständig aus der Praxis zu gehen;

Bei der Entlassung Temperatur 35,8°C, Synulox 1,54 ml sc morgens und abends verabreicht; Paracarp mittags verabreicht 1,7 ml sc; Synulox und Rimadyl weitere 4 Tage verlängert; Kontrolle morgen; wenn vor dem Fädenziehen Probleme auftauchen, vorstellig werden.

Eine pathologische Untersuchung war vom Besitzer nicht erwünscht.
Bei Hunden gibt es zwei Arten von Eierstocktumoren die am häufigsten vorkommen: epitheliale Tumoren und gonadostromale Tumoren. Bei den epithelialzell Tumoren kommen die papilläre Adenokarzinome und die papilläre Adenome vor. Adenome stellen sich blumenkohlartig, mit zerklüfteter Oberfläche dar. Adenokarzinome haben oft Metastasen am Bauchfell. Beide Tumoren passen makroskopisch nicht zu unserer Patientin Jessy.
Unter den gonadostromalen Tumoren gibt es bei der Hündin häufig Granulosazelltumoren.
Granulosazelltumoren vom Typ Sertoli Zell sind in der Regel gutartig und meist ohne hormonelle Aktivität. Diese können einseitig vorkommen und sehr groß werden.

Allerdings gibt es bei Jessy eine geringgradige Verschiebung der Erythrozyten und des Hämatokrit: die übrige Granulosazelltumoren können bösartig sein (Katze bis 50 %, Hund bis zu 20 %) und eine hormonelle Aktivität aufweisen, sie können unter anderem Östrogene produzieren. Durch einen Hyperöstrogenismus kann es zu einer Knochenmarksdepression kommen und dadurch kann die Blutbildung beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund ist eine Kontrolle des Blutbildes in 3-4 Wochen anzuraten. Allerdings könnten weitere Symptome wie Alopezie (Haarausfall); Sexuelle Attraktivität der Hündin gegenüber Rüden; Vulva Schwellung und Ausfluss bei einem Hyperöstrogenismus vorkommen. Dies ist aber bei Jessy nicht der Fall.

Eher seltener vorkommend sind die Keimzelltumoren unter die die Dysgerminome und Teratome fallen. Dysgerminome können in 10-20 % der Fälle metastasieren. Teratome sind eher selten.

Bei der Hündin kann es im Alter von über 6 Jahren zu hormonellen Schwankungen in der Gebärmutter kommen. Das Verhältnis zwischen Progesteron und Östrogen ist dadurch gestört. Die Östrogenphase kann durch den Follikelsprung oder ovariale Zysten weiterhin aber auch durch eine hormonelle Behandlung zur Unterdrückung der Läufigkeit, oder durch eine Nidationsverhütung (Verhinderung der Trächtigkeit durch unerwünschtes Decken) verlängert werden. Durch die erhöhten Östrogenwerte kann es zu einer erhöhter Zellproliferation (Zellvermehrung) und zu einer vermehrten Durchblutung der Gebärmutterschleimhaut kommen. Die gleichzeitig vorhandenen Progesterone führen zu einer erhöhten Drüsensekretion der Gebärmutterschleimhaut und somit zur Entstehung von Zysten in der Schleimhaut. Dies nennt sich glanduläre zystische Hyperplasie. Dies ist die Vorstufe einer Gebärmutterentzündung die eitrig werden kann. Bei Jessy war dies auch der Fall. Die Gebärmutter hatte sich mit muköser, fädenziehender Flüssigkeit gefüllt, die eitrig werden kann. Das Gewebe der Gebärmutter war schon gedehnt und ausgeleiert.

Weiterhin hatte unsere Patientin Mamatumoren an beide Mamaleisten. Diese wurden zunächst nicht bei der Operation entfernt da die Narkosedauer für Jessy viel zu lang und risikoreich geworden wäre. Da die Lunge frei von Metastasen war, der Tumor im Bauch so viel Platz in Anspruch nahm, dass es irgendwann zu klinischen Symptomen geführt hätte (Kreislaufbeschwerden, Magendarmbeschwerden durch Erschwerung der Durchblutung des Darms durch Druck des Tumors unter anderem), ist die Entfernung des abdominalen Tumors als wichtiger empfunden worden. Die Mamatumoren müssten bei zwei weiteren Narkosen entfernt werden. Leider geht dies auch nicht in einer Sitzung, da beide Mamaleisten betroffen sind.

Ein paar Tage später stellte sich heraus dass Jessy eine Schilddrüsenunterfunktion hat. T4: < 0,7 (1,0- 4,0mg / dl) und TSH <0,75 (< 0,5 ng / dl). Dies würde die allgemeine Hautveränderung erklären. Sie wurde auf Forthyron 200: 2 x täglich 1 Tablette eingestellt. Es ist zu empfehlen, die Schilddrüsenwerte 3-4 Wochen nach Therapiebeginn zu kontrollieren.

Da Jessy die Narkose gut überstanden hat, sind wir alle zuversichtlich, dass sie noch ein paar weitere Jahre mit ihrem Besitzer verleben kann!